Wenn man, wie ich, aus einer von Hierarchie und Kontrolle geprägten Arbeitswelt kommt, bedeutet der Wandel hin zu neuen Arbeitswelten einen riesigen Umbruch. Ich vergleiche diesen Umbruch gerne mit einer Heldenreise. Die Heldenreise ist das Grundprinzip jeder großen Geschichte – von den griechischen Sagen bis zu den Kinoklassikern der Neuzeit – und läuft folgendermaßen ab: Der Protagonist merkt, dass die Welt im Wandel ist und dass er sich auf eine Reise begeben muss, um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein. Er trifft seinen Mentor, der ihn darin bestärkt, sich aus der gewohnten Umgebung heraus auf die Reise zu begeben, um seine Mission zu erfüllen. Auf seiner Reise erlebt er viele Abenteuer, bis es dann zum großen Showdown kommt, in dem er in den Abgrund blickt, den Kampf aber mit letzter Kraft gewinnen kann. Dieses Erlebnis verändert den Protagonisten nachhaltig und er kehrt als gewachsener Mann/gewachsene Frau, als Held in seine Heimat zurück. Happy End.

Ich finde den Vergleich deshalb so passend, weil es bei New Work und Agilität ebenfalls darum geht, das Bekannte, die etablierten Strukturen, hinter sich zu lassen und sich wirklich auf die Reise in unbekanntes Terrain zu begeben. Im Kontext Agilität bedeutet das, dass man sich eingesteht, in einer immer komplexer werdenden Welt, nicht mehr wie gewohnt planen und kontrollieren zu können. Auch pyramidale Strukturen erreichen in der Geschwindigkeit der heutigen Welt ihre Grenzen. Um darauf zu reagieren, wird der Mensch (bzw. das selbstorganisierte Team) in den Mittelpunkt einer Organisation gestellt, die durch Experimentieren und Lernen vorgeht. Agilität als GAU (Größtmöglich anzunehmender Umbruch).

Diese Transformation ist – wie die Heldenreise – eine persönliche Reise. Denn auch wenn mit einer agilen Transformation landläufig der kulturelle Wandel einer Organisation, eines Systems, gemeint ist, muss der Fokus hierbei doch auf den einzelnen Menschen gelegt werden. Nur, wenn sich mehrere Individuen auf die Reise begeben und sich dadurch transformieren, kann sich als Effekt daraus im Nachgang auch das System transformieren.

Wir müssen uns also persönlich auf einen Paradigmenwechsel – Stichwort „Agiles Mindset“ – einlassen, um die Dinge wirklich neu zu denken und anders zu tun. Eine solche Transformation bedeutet, konsequent aus der Komfortzone rauszugehen. Deshalb will und wird auch nicht jeder diese Reise enthusiastisch antreten. Da wird dann ganz genau hingeschaut, ob die Vorgesetzten auch bereit sind, sich zu verändern – und damit auch: Ob sie es mit dem Wandel wirklich ernst meinen (und sich auch selber verändern) oder ob man diesen Hype nicht doch aussitzen kann. Nicht jeder hat die Ambition, ein Held zu sein und sich zu transformieren. Und das ist vollkommen nachvollziehbar und normal. Wir Menschen haben Grenzen der Veränderung. Und ohne einen instabilen Zustand – oder anders gesagt: Ohne ein Bewusstsein dafür, dass Veränderung dringend notwendig ist, weil die Welt im Wandel ist und wir mit den alten Mustern nicht mehr weiterkommen – ist Veränderung nicht möglich.

Der wichtigste Schritt auf der Heldenreise ist deshalb das „Überschreiten der Schwelle“ – der Moment, in dem der Held seine Reise antritt und von zu Hause fortgeht. Die Schwelle von der alten in die neue Arbeitswelt ist dadurch gekennzeichnet, dass man es schafft, das Bedürfnis nach Kontrolle loszulassen und Vertrauen zu schenken. Kontrolle verhindert Experimentieren und Lernen. Und Kontrolle verhindert Veränderung und Wachstum. Vertrauen ist die starke Währung auf dem Weg zu zukunftsfähigen Arbeitswelten. Der Kontrollverlust im Außen sollte durch innere Stärke und Verbundenheit ausgeglichen werden. Und damit führt diese Reise unweigerlich auch nach innen – zu uns selbst.

Wenn wir den Mut haben, diese persönliche Transformation anzutreten und uns selber und anderen mehr zu vertrauen, bietet das den Nährboden für Gelassenheit, um mit der sich stetig verändernden Außenwelt klarzukommen, sowie für ein Gemeinschaftsgefühl, was neues Arbeiten erst ermöglicht. Weg vom Ego, hin zum Wir!

Das mag sich mit Sicherheit für den ein oder anderen nach Esoterik und Bäume umarmen anhören. Ehrlicherweise wäre das noch vor gar nicht allzu langer Zeit meine Reaktion auf solche Worte gewesen. Mittlerweile bin ich aber felsenfest davon überzeugt, dass genau das der Weg ist, der in Richtung New Work von jedem einzelnen gegangen werden muss.

Die Heldenreise bringt hier einen weiteren, wichtigen Spieler aufs Parkett: Den Mentor. Der Mentor gibt dem Protagonisten den entscheidenden Impuls, seine Reise wirklich anzutreten und nicht mehr nur darüber nachzudenken und darüber zu reden, dass eine solche Reise jetzt mal langsam fällig wäre. Und dann begleitet er den Helden bei seinen Abenteuern. Die Rolle des Mentors entspricht der eines Reisebegleiters. Die geeignetsten Reisebegleiter in Veränderungsprozessen sind Coaches. Deshalb wäre es sinnvoll, möglichst allen Menschen, die von einer Transformation betroffen sind, eine Begleitung durch Coaching zu ermöglichen. Das würde die Erfolgswahrscheinlichkeit der Transformationsvorhaben drastisch erhöhen – Coaching als Chance.

Bei der Versicherungskammer sind wir dieses Thema aktiv angegangen und haben hierfür vor einem Jahr die Reisebegleiterschule gegründet. Die Reisebegleiterschule ist eine einjährige Ausbildung, die Scrum Master in ihrer Rolle als Team-Coaches befähigen soll. Neben fünf Seminarbausteinen zu Themen wie etwa Haltung und Team-Entwicklung finden zwischen den Bausteinen Supervisionen statt und die Teilnehmer bekommen ein Budget für individuelles Coaching. Damit man Andere auf ihrer Reise begleiten kann, ist es enorm hilfreich, wenn man sich zunächst selber auf die Reise begibt (auf der wir – als Agile Coaches – sie im Zuge der Ausbildung begleiten).

Für die persönliche Transformation sind Coaches oder Mentoren die wirksamsten Gefährten. Für die Transformation einer Organisation ist es am wirksamsten, wenn sich die (Top-)Führungskräfte auf ihre persönliche Transformations-Reise begeben. Denn Führungskräfte stehen im besonderen Blickfeld der Mitarbeiter und eignen sich dadurch optimal als Vorbilder. Darüber hinaus haben Führungskräfte den größten Einfluss darauf, inspirierende, wie Orientierung gebende, Visionen zu erschaffen, geeignete Vorhaben und Menschen für Leuchtturm-Vorhaben auszuwählen, und damit förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Förderliche Rahmenbedingungen sind enorm hilfreich, um möglichst viele Menschen für ihre persönlichen Heldenreisen zu motivieren.

Aber warten Sie nicht auf die optimalen Rahmenbedingungen. Begeben Sie sich selbst einfach mutig, mit ersten kleinen Schritten, in die Lern- und Heldenzone der neuen Arbeitswelten. Spüren und genießen Sie das Abenteuer.

Letztendlich beginnt alles mit folgender Erkenntnis: Ich bin das Zentrum der Veränderung. Und dadurch kann ich selbst die Zukunft aktiv gestalten.

Gute Reise, Johannes

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